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das ende der familie


Die moderne Familienforschung verzeichnete in den vergangenen Jahrzehnten einen großen

Aufschwung. Dies ist kein Zufall, denn die herkömmliche Familienform ist großen Belastungen

ausgesetzt. Sie räumte mit manchen Mystifizierungen auf, etwa mit jener, dass es "die" Familie

schlechthin gibt, indem sie darauf hinweist, dass im Verlauf der Menschheitsgeschichte unterschiedliche

Formen von Familie praktiziert worden sind und dass die jeweilige Familienform Resultat eines

komplexen Geflechtes von ökonomischen, sozialen und kulturellen Beziehungen darstellt.

Des Weiteren kam sie zu dem Schluss, dass in der Vergangenheit im westlichen Europa ein beträchtlicher

Teil der Bevölkerung von einer Familiengründung ausgeschlossen war (weibliche und männliche

Sklaven, Knechte und Mägde etc.). Darüber hinaus stellt sie nachdrücklich in Frage, dass die Familie den

natürlichen Rahmen der Fortpflanzung bildet, wenn sie etwa darauf verweist, dass im bäuerlichen Milieu

Oberkärntens im 19. Jahrhundert zwei Drittel der Geburten außerhalb einer Familie verzeichnet wurden.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der historischen Familienforschung ist die Einsicht, dass es die Familie

deshalb gibt, weil sie bestimmte Funktionen zu erfüllen hatte. Diese waren und sind in den verschiedenen

Kulturen unterschiedlich gewichtet.

Eine der wichtigsten war die Versorgung der Alten durch die Jungen: Nicht eine genetisch bedingte

Anlage treibt die Menschen zur Fortpflanzung, sondern die Sorge um ihre Absicherung in Alter und

Krankheit. Eine weitere Grundfunktion war die der Sozialisierung und Ausbildung der

Nachkommenschaft in der Zeit vor der Einführung des obligaten Schulunterrichts oder der

außerhäuslichen Berufsausbildung. Die Familie stellte darüber hinaus eine wirtschaftliche Gemeinschaft

dar, die sicherstellte, dass alle Mitglieder unabhängig von ihrem jeweiligen Beitrag zum Gesamtwohl

hinreichend versorgt und die Güter geregelt an die nächste Generation weitergegeben wurden.

In vielen Gesellschaften bildete die Familie auch eine religiöse Kultgemeinschaft mit einem

Haushaltsvorstand, der quasipriesterliche Funktion ausübte. Ihm wurden vielfach auch richterliche

Funktionen über die Familienmitglieder zuerkannt, die mitunter sogar Todesurteile beinhalteten. In

Gesellschaften schließlich, in denen die Verehrung der männlichen Ahnen wichtig war - wie etwa in den

Balkangebieten -, bildete die Familie das exklusive Medium zur Fortsetzung der männlichen Linie. Diese

Funktionszuschreibungen waren solange von Bedeutung, bis sie öffentlichen Institution bzw. dem

modernen Sozialstaat übertragen wurden. Es ist kein Zufall, dass in Österreich seit den frühen

Siebzigerjahren mit dem Ausbau des Sozialstaats das traditionelle Familienbild ins Wanken geraten ist.

Seither steht das Ende der Familie zur Diskussion. Dies war in Europa nicht überall und schon gar nicht

überall gleichzeitig der Fall. Die Balkangebiete sind ein erkenntnisreiches Beispiel dafür.

Der Verlauf der historischen Entwicklung brachte es hier mit sich, dass die Familie heute noch einen

weitaus höheren Stellenwert genießt als in Westeuropa. Die meisten Balkanregionen hatten rund ein

halbes Jahrtausend unter der Herrschaft des Osmanischen Reichs gestanden, und speziell der

nichtmuslimischen Bevölkerung hatte dieser Staat wenig an Leistungen zu bieten. Daher war sie auf ihre

familialen und verwandtschaftlichen Netzwerke angewiesen, wenn es um die Sicherstellung der

menschlichen Grundbedürfnisse ging: Schutz, Herstellung von Recht und Gerechtigkeit oder Versorgung

im Alter.

Die Familie hatte die oben erwähnten Funktionen in reichlichem Maß zu erfüllen. Die Familienbande

waren daher sehr eng geknüpft, was auch auf die engere und weitere Verwandtschaft übertragen wurde.

Vielfach entstanden umfangreiche Verbände, die an Mitgliederzahl jene einer heutigen Kernfamilie um

ein Vielfaches überschritten. Eine patriarchale Familienideologie war die Folge, die allergrößten Wert auf

die Fortsetzung der männlichen Linie legte, selbst um den Preis, dass notfalls eine Tochter zum Sohn

erklärt wurde. Eingeheiratete Schwiegersöhne stellten ebenso eine Notlösung dar und waren von

niederem sozialem Rang.

Die mindere Stellung von Frauen in der traditionellen Balkanfamilie äußerte sich darin, dass sie immer in

den Haushalt des Bräutigams einheiraten mussten und vom Erbe an der wichtigsten Ressource in einer

agrarischen Gesellschaft - Grund und Boden, Haus und Hof - ausgeschlossen waren, selbst wenn es keine

unmittelbaren männlichen Nachkommen gab. Die alten Männer nahmen eine Sonderstellung ein: Sie

geboten über das Haushaltsvermögen und bestimmten die Bräute und Bräutigame ihrer Söhne und

Töchter. Heirat und Familiengründung galten als unbedingte Pflicht; Unverheiratete waren kein

vollwertiges Mitglied der Gesellschaft.

Erst die kommunistischen Regierungen nach dem Zweiten Weltkrieg machten sich ernsthaft daran, die

traditionelle patriarchale Familienstruktur aufzulösen. Denn diese bildeten ein ernsthaftes Hindernis für

den Aufbau einer "neuen" Gesellschaft in sozialistischem Sinne. Eine moderne Familiengesetzgebung

sollte der Herstellung von Gleichberechtigung von Mann und Frau dienen; die massiv betriebene

Industrialisierung hatte eine starke Abwanderung vom Land in die Industriezentren zur Folge. Die

moderne Arbeiterfamilie wurde zum neuen gesellschaftlichen Idol erhoben und die traditionelle Familie

mit Verachtung gestraft.

Wenngleich diese Anstrengungen vielfach von der Bevölkerung unterlaufen wurden, hatte die

Modernisierungspolitik dennoch teilweise ihre beabsichtigten Folgen, da der sozialistische Staat etliche

der zentralen Familienfunktionen übernahm. Die Alten wurden mit Pensionen versorgt; ein modernes

Schulwesen und Kinderbetreuungseinrichtungen schufen außerhäusliche Sozialisationsformen; die Frauen

wurden in den Arbeitsprozess integriert und verfügten über ein eigenes Einkommen. Am Ende der

sozialistischen Ära (1989/91) überlappten sich die traditionelle und die moderne Familienordnung bereits

sehr stark.

Insbesondere in der Arbeitsmigration bleiben traditionelle Familienbilder stärker bestehen. Das äußert

sich etwa darin, dass die meist jungen männlichen Arbeiter es als ihre Pflicht ansehen, einen bedeutenden

Anteil ihrer mühsam erarbeiteten Ersparnisse an ihre Familienmitglieder auf dem Balkan (oder in die

Türkei) weiterzuleiten.

In zunehmendem Maß - vielfach durch die jeweilige Gesetzeslage ermöglicht - erfolgt die

Arbeitsmigration aber mit Familienangehörigen. Die Familie hat in der Migrationssituation eine

außergewöhnliche Bedeutung. Sie bietet ihren Mitgliedern Rückhalt und Vertrautheit in einer fremden

Umgebung. Die Kinder, durch den Besuch der Schule mit der Sprache des Migrationslandes vertraut,

dienen als MittlerInnen zu den Behörden und werden als Hoffnung für die Versorgung im Alter

angesehen.

Familien in Migration werden mit den Familienvorstellungen ihrer neuen Umgebung konfrontiert - sei es,

dass ihr traditionelles Familienbild von dem eines modernen Familienrechts kontrastiert wird, sei es, dass

sie eine große Zahl an auseinanderdriftenden Familien vorfinden. Mit Entsetzen registrieren sie die hohen

Scheidungsziffern, den losen Umgang der Generationen miteinander, das aus ihrer Sicht freizügige

Verhalten von Frauen in der Öffentlichkeit und den Umgang unserer Gesellschaft mit den Alten. Sich

selbst in einer prekären sozialen Situation befindend, bedauern sie diesbezüglich unsere Gesellschaft.

Der Vergleich lässt folgende Schlussfolgerungen zu: Familie bedarf funktioneller Begründungen.

Herkömmliche Familienpolitik vermeint, sie in der Berufung auf traditionelle Familienwerte bei

gleichzeitiger Rückbildung des Sozialstaats finden zu können. Eine moderne Familienpolitik wird auf den

Ausbau des Sozialstaats pochen, der einen Rahmen für neue Familien- und Zusammenlebensformen

bildet - Lebensabschnittspartnerschaften, RentnerInnenkonkubinate, soziale und biologische

Elternschaften - und vor allem Frauen bessere Entfaltungsmöglichkeiten als bisher bietet.

Eine solche Familienpolitik ist aber auch Zuwanderungspolitik. Familien in Migration leisten nicht nur

einen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Pensionssystems im Gastland, sondern tragen auch wesentlich zu

einem guten gesellschaftlichen Mix an unterschiedlichen Beziehungs- und Familienvorstellungen bei.